Die Eigenschaften und Parameter eines Ortes waren – zumindest früher – die ausschlaggebenden Faktoren für Materialisierung, Konstruktion und Gestalt. Die für ein Gebäude verwendeten Materialien mussten aus dem direkten Umfeld bezogen werden. Die konstruktive Umsetzung orientierte sich an den spezifischen Eigenschaften dieser Materialien, den handwerklichen Fertigkeiten vor Ort sowie an den Lebensgewohnheiten der Menschen. Aus dieser logisch aufeinander aufbauenden Abfolge von Schritten und Entscheidungen entstanden in der Regel funktional und konstruktiv einfache, unter ästhetischen Aspekten jedoch klare und hochwertige Bauwerke. Ihre materielle Präsenz sowie das Zusammenspiel von Ort, Funktion, Konstruktion und räumlicher Organisation waren schlüssig und ausbalanciert. Der Einsatz der verfügbaren Ressourcen war plausibel, entsprach aus heutiger Sicht den Prinzipien einer nachhaltigen Bauweise und war im Hinblick auf die jeweilige Aufgabe angemessen.
Die heutige Welt lässt diese einfache Sichtweise häufig nicht mehr zu. Zu vielschichtig sind die funktionalen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen an zeitgenössische Gebäude. Hinzu kommt, dass in Planungsbüros und in der Lehre die grundlegenden Fragen zu den primären Faktoren der Architektur – Kontext, Raum, Materialität, Fügung und strukturelle Überlegungen – zu Beginn eines Entwurfsprozesses nur selten gestellt werden.
Mit einem „Schritt zurück zum Wesentlichen“ sollen die Studierenden wieder für diese grundlegenden Verhältnisse und Faktoren sensibilisiert werden. Im Zentrum stehen dabei – neben den zentralen Fragen zum Ort und zum Menschen als maßgeblichem Bezugssystem – die Wahl geeigneter Materialien sowie ihr angemessener Einsatz im Hinblick auf Fügung und die aus der Aufgabe heraus entwickelte räumliche Struktur. Nur auf Basis dieses grundlegenden Wissens ist es möglich, bestehende Denkmodelle kritisch zu hinterfragen, Vorhandenes sinnvoll weiterzuentwickeln, sich im Spannungsfeld zwischen Archetyp und Prototyp zu positionieren und Antworten auf eine sich rasant verändernde berufliche Realität zu formulieren.
Die Bauwende in Forschung und Lehre
Die Klimakrise und eine zunehmend überlastete Abfallwirtschaft erfordern in nahezu allen Bereichen unseres Lebens ein konsequentes und entschlossenes Umdenken. Dass der Bausektor weltweit derzeit für rund 40 % des Energie- und CO₂-Ausstoßes sowie für etwa 60 % des Abfallaufkommens verantwortlich ist, verdeutlicht das enorme Potenzial einer grundsätzlichen Neuausrichtung von Planung und Baupraxis zur Erreichung der Klimaziele. Es gilt daher aufzuzeigen, mit welchen nachhaltigen, recycelbaren und aus nachwachsenden Ressourcen gewonnenen Materialien wir künftig bauen können und wie wir diese – im Sinne einer funktionierenden und geschlossenen Kreislaufwirtschaft – fügen müssen. Ebenso ist zu untersuchen, welche strukturellen Auswirkungen solche neuen Bauweisen auf zukünftige Gebäude haben werden.
Darüber hinaus müssen bestehende Gebäude und Baustrukturen als wertvolle Ressource begriffen werden. Ihr Erhalt und Transformation, also der verantwortungsvolle Umgang mit dem Bestand an sich, ist sowohl in der Forschung als auch in der Lehre zu thematisieren. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse müssen zudem einer breiten Öffentlichkeit zugänglich und verständlich gemacht werden.
Vor allem die für das Bauen und Konstruieren ableitbaren Herausforderungen lassen sich jedoch nur begrenzt im Theoretischen erfassen. Daher müssen Fragen zu Materialien, Fügungsprinzipien und strukturellen Systemen im Maßstab 1:1 – in Form prototypischer Untersuchungen – erforscht werden, um belastbare und für die Praxis relevante Lösungen zu entwickeln.